Damit kein Gras über die Geschichte wächst

Am 10.Mai 1933 um 23.30 Uhr feierten ca. 50.000 überwiegend akademische Nazis und ihre Sympathisanten trotz strömenden Regen auf dem Königsplatz in München einen großen „Verbrennungsakt“. Auf dem Rasen vor der heutigen Antikensammlung wurden die Bücher verfemter Autoren auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Zuvor fand eine “ Feier der nationalen Revolution“ in der Aula der Universität mit Reden des Rektors und des Kultusministers statt, umrahmt von Egmont-Ouvertüre, Rezitationen von Liedern und Gedichten, dem Horst-Wessel- und dem Deutschlandlied. Anschließend zogen die freiwilligen und begeisterten Teilnehmer in „Uniform oder dunklem Anzug“ mit Fackeln zum Königsplatz.

„Das war ein Vorspiel nur: dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ schrieb Heinrich Heine 1820. Den Königsplatz benutzten die Nazis als ihren sakralen Aufmarschplatz (z.B. zur Feier der „Blutopfer“ jeweils am 9. November). Er wurde 1935 mit Granitplatten belegt und mit den „Ehrentempeln“ und den Führerbauten umrahmt. Nach dem Bau des „Braunen Hauses“ und von 40 Verwaltungsstellen der Reichsparteileitung erhielt München den Titel „Hauptstadt der Bewegung.

Nichts erinnerte dort an diese Verwaltungs- und Kultzentrale deutscher Verbrechen (erst seit 1997 steht dort eine ziemlich dürftige Informationstafel). 1988 ließen Stadt und Staat die brüchigen Platten vom Platz räumen und eine an Klenze angelehnte Platzgestaltung herstellen – so als wäre nichts gewesen und als hätte es in dieser Stadt nirgendwo Täter und Taten gegeben.

Am 9. November 1995 (dem Jahrestag der Reichspogromnacht) brachte der Künstler Wolfram Kastner im Rasen des Königsplatzes einen Brandfleck als Zeichen der Erinnerung an die Bücherverbrennung und ein Hinweisschild mit einem Text in deutsch und englisch an. Die Stadt wurde gebeten, kein Gras mehr über die Geschichte wachsen zu lassen. Eine Gedenkstättenkommission, der Oberbürgermeister und der Kulturausschuss lehnten dies ab mit der Begründung, die originale Brandspur sei nicht mehr vorhanden, also wäre „eine historische Situation nicht mehr gegeben, d.h. die Kontinuität des eigentlichen Zustandes ist nicht mehr gewahrt“. Das Baureferat verbot daraufhin auch eine zeitlich befristete Installation des Brandflecks. Erst als die Presse aufmerksam wurde und die Bürgermeisterin der Grünen sich einschaltete, wurde das Verbot aufgehoben. PEN-Präsidium, der Verband deutscher Schriftsteller, Buchhändler und Verleger, Lehrer und Studenten der Universitäten haben dieses Erinnerungszeichen befürwortet und ermöglicht. Eine „widerrufliche wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis“ befristete die Erinnerung bis zum 23. Dezember 1995.

Am 22. Dezember 1995 schenkten Wolfram Kastner und Robert Stauffer, Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller Bayern, den Münchnern das gesamte Erinnerungszeichen und überreichten dem Oberbürgermeister eine Schenkungsurkunde. Am 28. Februar 1996 wurde das Hinweisschild von einem städtischen Arbeitstrupp abgesägt und auf Verfügung der Stadtspitze in das Stadtarchiv in eine Kammer für dreidimensionale Geschenke eingelagert. „In Vollzug des Kulturausschußbeschlusses vom 30.11.1995 wird die Stadt bis zur Wachstumsperiode im nächsten Jahr auf eine Wiederherstellung der Grasnarbe verzichten. Danach wird auf dem Erdfleck aufgrund natürlichen Wachstums und gärtnerischer Maßnahmen die ursprüngliche Grasfläche neu entstehen. An eine erneute Entfernung des Bewuchses (…) ist nicht gedacht.“ (Baureferat der Landeshauptstadt München)

Bis 2003 war in München zu beobachten, wie – verordnetermaßen – Gras über die Geschichte und die Erinnerung daran wuchs. Die Erinnerung wurde amtlich verboten.

Seit 2004 wurde die Aktion und eine Dauerlesung aus verbrannten Büchern genehmigt.

Viele Menschen (Schüler und Studenten, Schauspieler, Politiker, Autoren u.a.) lesen genau an diesem Ort der NS-Kulturbarbarei Texte aus Büchern, die 1933 verbrannt und auf alle Zeit ausgelöscht werden sollten.

Viele davon sind bis heute kaum bekannt und dennoch sehr aktuell …

Idee und Installation des Brandflecks: Wolfram Kastner

Dokumentation und Fotografie: Wolfram Kastner und Christian Lehsten (Fotoagentur argum)
Die Fotoserie wurde 1996 im Haus der Kunst in München ausgestellt.
Abzüge davon befinden sich in Yad Vashem.