Bertolt Brecht

gelesen von Christian Löber

BERTOLT BRECHT – MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER

  1. VOR DER STADT WOHNT DIE COURAGE DEM BEGRÄBNIS DES GEFALLENEN KAISERLICHEN FELDHAUPTMANNS BEI.

courage

Meinen Sie nicht, dass der Krieg ausgehn könnt? (Der Feldprediger lacht.)

feldprediger

Weil der Feldhauptmann hin ist? Sein Sie nicht kindisch, Courage. Solche finden sich ein Dutzend, Helden gibts immer.

courage

Ich frag Sie das nicht nur aus Hetz, sondern weil ich mir überleg, ob ich

Vorrät einkaufen soll, was grad billig zu haben sind, aber wenn der Krieg

ausgeht, kann ich sie dann wegschmeißen.

feldprediger

Ich versteh, dass Sies ernst meinen. Es hat immer welche gegeben, die gehn

herum und sagen: »Einmal hört der Krieg auf.« Ich sag: dass der Krieg einmal

aufhört, ist nicht gesagt. Es kann natürlich zu einer kleinen Paus kommen. Der Krieg kann sich verschnaufen müssen, ja, er kann sogar sozusagen verunglücken. Davor ist er nicht gesichert, es gibt ja nix Vollkommenes allhier auf Erden. Einen vollkommenen Krieg, wo man sagen könnt: an dem ist nix mehr auszusetzen, wirds vielleicht nie geben. Plötzlich kann er ins Stocken kommen, an Unvorhergesehenem, an alles kann kein Mensch denken. Vielleicht ein Übersehn, und das Schlamassel ist da. Und dann kann man den Krieg wieder aus dem Dreck ziehn! Aber die Kaiser und Könige und der Papst wird ihm zu Hilf kommen in seiner Not; So hat er im ganzen nix Ernstliches zu fürchten, und ein langes Leben liegt vor ihm.

courage

Wenn ich Ihnen traun könnt…

feldprediger

Denken Sie selber! Was sollt gegen den Krieg sein?

Schreiber

Und der Frieden, was wird aus ihm? Ich bin aus der Böhmen und möcht gelegentlich heim.

feldprediger

So, möchten Sie? Ja, der Frieden! Was wird aus dem Loch, wenn der Käs

gefressen ist?

Schreiber

Auf die Dauer kann man nicht ohne Frieden leben.

feldprediger

Ich möcht sagen, den Frieden gibts im Krieg auch, er hat seine friedlichen Stelln. Der Krieg befriedigt nämlich alle Bedürfnis, auch die friedlichen darunter, dafür ist gesorgt, sonst möcht er sich nicht halten können. Im Krieg kannst du auch kacken wie im tiefsten Frieden, und zwischen dem einen Gefecht und dem andern gibts ein Bier und sogar auf dem Vormarsch kannst du ein’n Nicker machen, aufn Ellbogen, das ist immer möglich, im Straßengraben. Und dass du dich vermehrst inmitten all dem Gemetzel, hinter einer Scheun oder woanders, davon bist du nie auf die Dauer abzuhalten, und dann hat der Krieg deine Sprößlinge und kann mit ihnen weiterkommen. Nein, der Krieg findet immer einen Ausweg. Warum soll er aufhörn müssen?

courage

Da kauf ich also die Waren. Ich verlaß mich auf Sie. Der Krieg geht noch ein bissel, und ich machen noch ein bissel Geld, da wird der Frieden um so schöner.

feldprediger

Wie Sie so Ihren Handel führn und immer durchkommen, das hab ich oft bewundert. Ich versteh, dass man Sie Courage geheißen hat.

courage

Die armen Leut brauchen Courage. Warum, sie sind verloren. Schon dass sie

aufstehn in der Früh, dazu gehört was in ihrer Lag. Oder dass sie einen Acker

umpflügen, und im Krieg! Schon dass sie Kinder in die Welt setzen, zeigt, dass sie Courage haben, denn sie haben keine Aussicht. Sie müssen einander den Henker machen und sich gegenseitig abschlachten, wenn sie einander da ins Gesicht schaun wolln, das braucht wohl Courage. Dass sie einen Kaiser und einen Papst dulden, das beweist eine unheimliche Courage, denn die kosten ihnen das Leben. Sie könnten ein bissel Kleinholz machen. Wissens, ich hab aber keine Seel. Dagegen brauch ich Brennholz.

feldprediger

Ich bin kein gelernter Holzhacker. Ich hab Seelsorgerei studiert. Hier werden meine Gaben und Fähigkeiten mißbraucht zu körperlicher Arbeit. Meine von Gott verliehenen Talente kommen überhaupt nicht zur Geltung. Das ist eine Sünd. Ich kann ein Regiment nur mit einer Ansprach so in Stimmung versetzen, dass es den Feind wie eine Hammelherd ansieht. Ihr Leben ist ihnen wie ein alter versunkener Fußlappen, den sie wegwerfen in Gedanken an den Endsieg. Gott hat mir die Gabe der Sprachgewalt verliehen. Ich predige, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht.

courage

Ich möchte garnicht, dass mir hören und Sehen vergeht.

Christian Löber