Erich Mühsam

gelesen von Konstantin Wecker

der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: „Ich revolüzze!“
und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
seine Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: „Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Lasst die Lampen stehn, ich bitt , –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!“

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt

Jüngst war der Tod bei mir zu Gast…
Unsichtbar stand er und hat still
und prüfend meinen Puls gefaßt,
als fragt er, ob ich folgen will.
Da ward mein Körper schwebend leicht,
und in mir ward es licht und rein.
Ich spürte: Wenn das Leben weicht,
muß Seligkeit und Süße sein.
Willkommner Tod, du schreckst mich nicht;
in deiner Obhut ist es gut,
wo Geist und Leib von aller Pflicht
von Kerkerqual und Ängsten ruht …
Von aller Pflicht? Stirbt denn mit mir
der Krieg, das Unrecht und die Not?
Des Armen Sucht, des Reichen Gier-
sind sie mit meinem Ende tot?
Ich schwur den Kampf. Darf ich ihn fliehn?
Noch leb ich  wohlig oder hart.
Kein Tod soll mich der Pflicht entziehn 
und meine Pflicht heißt: Gegenwart!

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Mühsam wurde 1878 als Sohn eines Apothekers geboren und wuchs in Lübeck auf. Wegen „sozialistischer Umtriebe“ 1896 vom Gymnasium gewiesen, lebte er ab 1901 als freier Schriftsteller in Berlin und ab 1909 in München. Hier gehörte er 1918 zu den zentralen Akteuren der Bayerischen Räterepublik links von der USPD. Seine Mitgliedschaft in der KPD währte nur 2 Monate, seine Inhaftierung als „treibendes Element“ der Novemberrevolution dagegen 5 Jahre.

In einem impulsiven, antibürgerlichen „Gefühlsanarchismus“ kommen sein Autoritätshass und seine tiefe Verbundenheit mit den sozial Benachteiligten zum Ausdruck. Gegenüber den in den 1920er Jahren aufstrebenden Nationalsozialisten empfand er tiefste Abneigung und Verzweiflung über die politische Ohnmacht der Linksparteien.

Nach dem Berliner Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde er verhaftet und 1934 im KZ Oranienburg brutal ermordet.

Seine niederbayerische Ehefrau Kreszentia, die er 1915 geheiratet hatte, starb 1962 in Berlin. Beide sind auf dem Waldfriedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt. Als „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ genießt Mühsam ein ewiges Ruherecht.

Quelle:
http://www.erich-muehsam.de/ Wer war Erich Mühsam? Website der Erich-Mühsam-Gesellschaft e.V., abgerufen am 1. April 2020.
https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_M%C3%BChsam Erich Mühsam bei Wikipedia

Konstantin Alexander Wecker

(*1947 in München) Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor.
Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Liedermacher.